Wie gehen wir mit dem Tod um?

Gerade in Zeiten von Krieg und Katastrophen wird die Bedeutung von Leben und Tod besonders deutlich. Dennoch fällt es vielen Menschen schwer, darüber zu sprechen oder sich aktiv damit auseinanderzusetzen. Wie können wir als Gesellschaft angemessene Worte und Rituale finden, um den Verlust von Menschenleben zu würdigen und zu verarbeiten? Wie können wir Trauerprozesse sichtbar machen, statt sie zu verdrängen?

Das jüngste Erdbeben in der Türkei und Syrien hat tausenden Menschen das Leben gekostet, darunter auch Angehörigen von Schüler:innen aus Berlin und ihren Familien. Viele haben sich zusammengeschlossen, um ihre Solidarität und Unterstützung zu zeigen. In ganz Berlin wurden Schweigeminuten auf Schulhöfen abgehalten und Spendenaktionen organisiert, um zu helfen (Tagesspiegel, 2023). Es ist wichtig, dass wir in solchen Situationen einander unterstützen, indem wir Empathie und Mitgefühl zeigen und uns für die Bedürfnisse der Betroffenen sensibilisieren. Wir können uns dabei für notwendige Ressourcen im Katastrophengebiet einsetzen (Caritas, 2023) – aber auch für Trauerarbeit und Unterstützung derer, die sie brauchen.

  • Trauer ist ein sehr individuelles und komplexes Gefühl. Es gibt private und öffentliche Moment der Trauer sowie Unterschiede in der Trauer von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen
  • Persönliche Trauer: Nahe Angehörige und Freund:innen der oder des Verstorbenen können sehr intensiv und tief Trauer empfinden. Sie wird oft von Gefühlen wie Verzweiflung, Wut oder Schuld begleitet
  • Öffentliche Trauer: größere Gruppen von Menschen, die bei Gedenkfeiern, Trauermärschen oder in sozialen Medien zusammenkommen, um Solidarität, Mitgefühl oder Betroffenheit zum Ausdruck zu bringen, sowie um eigene Trauer zu verarbeiten (gute-trauer, 2023)

Tod ist Tabu

Nach einer Studie können etwa 10 Prozent der Menschen nach dem Tod eines nahestehenden Menschen „den Trauerprozess nicht abschließen und entwickeln eine anhaltende komplexe Trauerreaktion“ (Steinig et al., 2015). Die Forschung untersucht verschiedene Faktoren, die mit Trauerstörungen in Verbindung gebracht werden können. Dazu gehören eine starke emotionale Bindung an den Verstorbenen und ein Mangel an sozialer Unterstützung, die das Risiko einer Trauerstörung erhöhen können. (Treml, 2020). Seit Beginn der Corona-Pandemie ist die Nachfrage nach Therapieplätzen generell gestiegen: 40 Prozent bei Erwachsenen, 60 Prozent bei Kindern und Jugendlichen (ZDF, 2023). Angebote sollten weiter ausgebaut werden, um Betroffene zeitnah zu unterstützen.

„Trauer wird nie ganz vergehen, doch sie verändert sich“

Regina Ehm arbeitet als Trauerbegleiterin für die Malteser in Berlin

Zum Trauerangebot der Malteser gehört unter anderem die Einzelberatungen, Gruppen für Hinterbliebene, ein Kochtreff und Trauergesprächskreise. Auch Personen, die nicht direkt betroffen sind, können sich engagieren. So kann Verständnis und eine Kultur des Mitgefühls und der Solidarität gefördert werden.

  • Mein Begleiter (für iOS und Android): Diese kostenlose App wurde von der Deutschen Hospiz- und PalliativStiftung entwickelt und bietet eine Vielzahl von Informationen und Ressourcen für Menschen in Trauer. Es gibt eine umfangreiche Bibliothek mit Büchern, Podcasts und Videos zum Thema Trauer sowie eine Liste mit lokalen Unterstützungsangeboten.

Offene Gesprächskultur

In Deutschland gehört es dazu, im Umgang mit Trauer den Schmerz zulassen zu können, allerdings eher im privaten Bereich. Obwohl seit 2009 gesetzlich vorgeschrieben, verfügen laut einer Umfrage des Allensbach-Instituts im Jahr 2014 nur 28 Prozent der Deutschen über eine Patientenverfügung. Seit 2022 sind es 45 Prozent (DHPV, 2022). Eine Patientenverfügung kann sicherstellen, dass die eigenen Wünsche im Falle einer Krankheit oder eines Unfalls formuliert und berücksichtigt werden. Eine offene und ehrliche Kommunikation kann das Thema weiter enttabuisieren.

Laut einer Studie sind mehr als die Hälfte der Meinung, dass sich unsere Gesellschaft zu wenig damit auseinandersetzt (DHPV, 2022). Eine Studie der Schweizer Universität St. Gallen ergab, dass Arbeitnehmer, die sich um kranke Angehörige kümmern müssen, oft mit einer Diskriminierung am Arbeitsplatz konfrontiert sind (Kiener et al., 2013). Auch im Vereinigten Königreich sind 60 Prozent der Meinung, dass sich unsere Gesellschaft nicht ausreichend mit dem Thema Tod und Sterben beschäftigt.

Der Umgang mit dem Tod am Arbeitsplatz wird häufig tabuisiert und Arbeitgeber und Kollegen wissen oft nicht, wie sie mit Trauernden umgehen sollen („Dying Matters Coalition“, 2014). Die überwältigende Mehrheit (87 Prozent) fordert in Großbritannien bezahlten Urlaub im Trauerfall, flexible Arbeitszeiten und Unterstützung. In Deutschland gibt es zwar gesetzlich vorgeschriebene Sonderurlaubstage, jedoch keine festen Regelungen, wie viele Tage dies sein sollen. Arbeitnehmer:innen sind immer noch auf das Entgegenkommen ihrer Chefs angewiesen (BGB, 2023).

Emotionale und körperliche Reaktionen

In der akuten Phase der Trauer fühlen sich viele Menschen oft hilflos, desorientiert und überwältigt. Sie haben vielleicht Schwierigkeiten zu schlafen oder sich auf alltägliche Aufgaben zu konzentrieren (SZonline, 2021). Trauern ist oft mit starken emotionale Reaktion verbunden, wie zum Bespiel tiefe Traurigkeit, Wut oder auch Schuldgefühle. Manchmal kann das Gefühl von Leere oder Sinnlosigkeit auftreten. Eine Untersuchung über die verschiedenen Arten von Trauer differenziert zwischen mentaler, körperlicher und emotionaler Verarbeitung (Spektrum, 2016). Die emotionale Verarbeitung geht mit Gefühlen wie Schwermut oder Einsamkeit einher. Körperlich zeigt sich Trauer in Appetitverlust oder Schlafstörung. Mental kann sich Trauer unter anderem in Konzentrationsstörungen ausdrücken.

Bei Trauernden dreht sich oftmals das ‚Gedankenkarussell’ um die verstorbene Person, was konstruktive wie auch destruktive Anteile haben kann (Eisma et al,2014). Reflektiertes, analytisches oder neugier-basiertes Denken kann Menschen helfen, mit der Trauer umzugehen. Dabei ist wichtig zu berücksichtigen, dass Trauerende selbstverständlich Raum & Zeit brauchen ihre Gedanken zu verarbeiten und Gefühle auszuleben. Das können Wochen, Monate oder Jahre erfordern.

Kein ‚Richtig‘ und ‚Falsch‘

Freunde oder Angehörige können in dieser Zeit helfen, indem sie einfach da sind und zuhören, wenn Trauerende reden möchten. Dabei sollten Angehörige das Erzählte nicht gleich bewerten sondern vermehrt zu hören. In der akuten Phase kann auch angeboten werden die Einkäufe zu erledigen, zu koche oder praktische Hilfe im Alltag zu leisten. Plakative Sprüche wie „Zeit heilt alle Wunden“ sollten dabei eher vermieden werden, auch wenn das wichtigste bleibt: Da zu sein, wenn die andere Person dafür offen ist (Malteser, 2023).

Für Kinder und Jugendliche können Bücher eine gute Annäherung an das Thema Tod und Sterben sein. Der deutschsprachige Markt hat in den letzten Jahren positive Entwicklungen gezeigt (Hesse, 2015). Die Erzählungen und Bilder werden komplexer und bieten Kindern und Jugendlichen mehr Möglichkeiten sich damit zu verbinden. Besonders schwedische Bilderbücher haben seit den 1980er Jahren innovative Erzählstrategien hervorgebracht, die auch den deutschsprachigen Markt beeinflussen.

Zwei österreichische Bilderbücher, „Die kleine Sensenfrau“ (2010) und „Die Königin & ich“ (2011), bieten einzigartige Darstellungen durch Personifikation sowie eine Mischung aus Humor und Symbolik. Das erste Buch verwendet klare, symbolische Illustrationen, um in drei Teilen den Himmel, die Erde und die soziale Gemeinschaft darzustellen, während der Text aus der Perspektive eines jungen Erzählers berichtet. „Wo bleibt die Maus?“ (2015) ist ein deutsches Sachbilderbuch, das sich auf die biologischen Aspekte konzentriert, ohne jedoch auf die natürliche Umgebung oder die Todesursache der Maus einzugehen.

Mehrtägiges Fest in Mexiko

In anderen Kulturen wird der Tod als Teil des Lebens betrachtet und es gibt spezielle Rituale, um sich an die Verstorbenen zu erinnern, was auch öffentlich ausgetragen werden kann. Der mexikanische Tag der Toten (Dia de los Muertos) ist ein mehrtägiges Fest, das am 1. und 2. November in Mexiko gefeiert wird, um die Verstorbenen zu ehren und ihrer zu gedenken (National Geographic, 2021). Man glaubt, dass an diesen Tagen die Grenzen zwischen der Welt der Lebenden und der Toten verschwimmen, so dass die Verstorbenen zu Besuch kommen können. Die Menschen schmücken Altäre mit Fotos der Verstorbenen, Blumen, Kerzen, Speisen und Getränken, die sie geliebt haben. Es gibt auch Umzüge mit kostümierten Menschen und Skeletten, die Musik machen und feiern. Das buddhistische Obon-Fest in Japan findet im August zu Ehren der Geister der Verstorbenen und zur Unterstützung ihrer Rückkehr in die Welt der Toten statt (Japan Guide, 2023) Es gibt viele lokale Traditionen, aber typischerweise werden Laternen angezündet, um den Geistern den Weg zu erleuchten, und Essen und Wasser für sie bereitgestellt.

Insgesamt ist es wichtiger als Gesellschaft offener und sensibler mit dem Thema Tod umzugehen und unsere Perspektiven auf das Leben und den Wert von Menschen zu überdenken. Wir sollten uns ermutigen, über den Tod und die damit verbundenen Gefühle und Erfahrungen zu sprechen und umfassender damit auseinandersetzen, um uns gegenseitig besser zu verstehen und uns in schwierigen Zeiten beistehen zu können. Es ist darüber hinaus offensichtlich, dass der Tod von jedem individuell wahrgenommen wird. Letztendlich ist der Umgang eine sehr persönliche Angelegenheit, und es gibt keine „richtige“ oder „falsche“ Art und Weise, damit umzugehen. Eine offene und unterstützende Kultur kann jedoch dazu beitragen, dass Menschen in schwierigen Zeiten angemessen unterstützt werden und dass individuelle Wünsche respektiert werden.

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